Inventarisation des Geläuts von St. Urbanus vom 12.5.2011 (1.67 MB) | Autor: Andreas Dziewior, Glockensachverständiger, Bonn. Wir danken dem Autor für die Erlaubnis, sein Gutachten hier in Auszügen zu veröffentlichen. |
Die Glocken von St. Urbanus waren im Februar 2012 das "Glockengeläut des Monats" auf der Homepage des Deutschen Glockenmuseums Burg Greifenstein.
Hier können Sie die 3 Urbanusglocken hören und den Kommentar des Glockensachverständigen Andreas Dziewior zum Geläut lesen.
Das Geläut im Turm der St. Urbanus-Kirche besteht aus drei Glocken:
Die älteste Glocke stammt von 1492 und wurde vom Glocken-
gießer Hermann Vogel aus Soest in Bronze gegossen. Sie hat einen Durchmesser von 0,87 m, wiegt ca. 400 kg und hat den Ton a'. Ihre Inschrift lautet: "+ihesus.maria.an.don.mccccvii.
dar.bi.dogoten.hermen.vogel.un.luken.apengheter.mi+".
Im Jahre 1557 ließ die Gemeinde von dem Glockengießer Jochen Trost eine weitere Bronze-Glocke gießen (Durchmesser 1,03 m, Ton g'), wie der zweite Teil einer zweizeiligen Inschrift auf der Glocke überliefert:
"uith.dem.fuir.bin.ich.geflaten.iochen.trost. heit.mic.gegaten.anno.domi.m.d.l.v.i.i.". Es handelt sich hier um die Signatur des Glockengießers mit dem Datum 1557. Der Satz "aus dem Feuer bin ich geflossen" spielt auf die Kunst des Bronzegießens an.
Auf der Glocke sind als Modelabdruck zwei identische runde Reliefs von gut 10 cm Durchmesser angebracht. Die Darstellung ist vermutlich von einem Holzschnitt oder Kupferstich kopiert worden und zeigt einen Mann in zeitgenössischer Tracht und eine Frau in fast paradiesischer Nacktheit, nur in einen Schleier gehüllt, neben einem Schalenbrunnen mit fialenartigem Aufsatz. Sie halten Spruchbänder, die aber nicht mehr zu entziffern sind. Vor dem Brunnen sitzt ein Kind auf der Erde; es ist ein Zitat nach der antiken Skulptur des "Dornausziehers". Zwei weitere Kinder sitzen im Brunnen selbst. Pflanzen deuten einen Garten an.
Der Sinn erschließt sich aus dem ersten Teil der Glockeninschrift:
"Lebt in dem Fruchtgarten allezusammen." Das ist eine Paraphrase auf Genesis, 2, 9: "Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten,...". Der Brunnen ist ein Symbol für eine Quelle,bzw. eine Anspielung auf Gen 2, 10: "Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert..." Weil das Paar offensichtlich schon Kinder hat, müßte der Bibel nach die Szene schon nach der Vertreibung aus dem Paradies spielen. Es geht hier aber nicht um eine wortgetreue Illustration der Bibel, sondern um einen Appell: Die Menschen auf der Erde sollen so friedlich zusammen leben wie einst die ersten Menschen im Garten Eden.
Die Symbolik geht noch weiter, denn der Brunnen wird in der christlichen Bilderlehre auch als Taufbrunnen verstanden. In der Taufe wird der Mensch zu einem neuen Leben, zum Leben in Christus geboren. Der Brunnen steht deshalb zugleich für den Brunnen des Lebens und das Wasser für Christus. Aus diesem Grund beginnt die Inschrift auch mit dem Namen Jesu.
Der Förderverein hat von diesem Relief Zinnabgüsse hergestellt, die Sie bei uns erwerben können (bitte das Kontaktformular verwenden).
Die ursprünglich vorhandene 3. Glocke von 1642 wurde im ersten Weltkrieg 1918 zu Rüstungszwecken eingeschmolzen.
Eine Stahlglocke als Ersatz wurde 1930 angeschafft. Sie stammt aus der Glockengießerei Schilling und Lattermann in Apolda/Thüringen, hat einen Durchmesser vom 1,48 m, wiegt 1400 kg und hat den Ton e'. Sie trägt die Inschrift: "Dem Feinde zu wehren, ward ich entsandt, und Gott zu Ehren, neu ich entstand."
Im zweiten Weltkrieg mussten auch die beiden erstgenannten Bronzeglocken abgegeben werden. Sie überstanden den Krieg jedoch unversehrt auf dem Glockenlager in Lünen. Nach schwierigen Verhandlungen konnten sie im Dezember 1947 wieder nach Weslarn geholt werden.
Quellen:
"St. Urbanus zu Weslarn", Kirchenführer von Frau Prof. Dr. Renate Prochno, Salzburg, 2007
Chronik des Dorfes Weslarn von Arnold Fortmann und Siegfried Prochno, 1989